Überraschung! Eigentlich wollte Volker Mornhinweg, der Chef von Mercedes-Benz Vans, in der Praxis zeigen, dass die batterieelektrischen Transporter der Baureihen Sprinter und Vito bereit sind für den professionellen Einsatz bei Transportunternehmen und Handwerk. Doch dann öffnete er einen Blick auf die Zukunft der Elektromobilität nach der Batterie. Mornhinweg zeigte das, was er als Elektromobilität 2.0 bezeichnete: ein Wohnmobil auf der Basis des Sprinters mit einem Elektroantrieb, der seinen Strom aus einer Brennstoffzelle bezieht.
Mit diesem Blick in die Zukunft traf Mornhinweg bei der Präsentation der Strategie mit dem nur wenig Duden-tauglichen Bezeichnung „eDrive@Vans“ im Hamburger Großmarkt auf verblüffte Zuhörer. Hatte doch Konzern-Chef Dieter Zetsche schon häufig festgestellt, er sehe die Zukunft in der Batterie und nicht im Wasserstoff. Doch Beide Positionen passen zueinander. Denn Zetsche muss dafür sorgen, dass die immer dichter heranrückenden Kohlendioxid- und Stickoxid-Grenzwerte mit Hilfe der Elektrifizierung der Antriebe erfüllt werden – und sei das auch noch so teuer für Hersteller und Käufer.
Mornhinweg muss über die Meinung seines Konzernchefs – im Wortsinn – hinwegsehen. Denn für ihn kommen zunächst nur batterieelektrische Konzept infrage. Hybrid-Lösungen, wie beim Personenwagen, kosten im leichten Nutzfahrzeug zu viel Geld und zu viel Zuladung. Also darf er die Brennstoffzelle schon einmal in den Blick nehmen.
Im Sprinter-Reisemobil steckt der Brennstoffzellenantrieb, den Mercedes-Benz 2017 im SUV GLC F-Cell auf der IAA vorgestellt hatte: maximale Leistung 200 PS (147 kW), 350 Newtonmeter (Nm) für den Heckantrieb und Wasserstofftanks mit 7,7 Kilogramm Wasserstoff im „Keller“ für rund 500 Kilometer Reichweite. Mornhinwegs Wasserstoff-Sprinter verbindet wie der GLC F-Cell den Wasserstoffantrieb mit einer Hybridbatterie, die bei voller Ladung für 30 Extra-Kilometer sorgen soll. Der H-Sprinter soll durchentwickelt werden. Wann er als Serienprodukt vom Band in Düsseldorf rollen wird, weiß heute niemand zu sagen.
Wieso Mornhinweg ausgerechnet ein Freizeitfahrzeug als Wasserstoff-Demonstrator nutzt, ist rasch erklärt. Der Reisemobilmarkt wird von Wohlhabenden bewegt. Unter denen könnten sich genug Begeisterte finden, die auch einen noch höheren Verkaufspreis akzeptieren und bereit sind, sich mit dem nur langsam wachsenden Netz von Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland zu arrangieren.
Das ist bei den elektrischen Nutzfahrzeugen der ersten Generation völlig anders. Sie können spätesten nach der Nutzfahrzeug-IAA im September in Hannover bestellt werden und sie lassen sich schon wirtschaftlich betreiben, sagt Mornhinweg. Den staatlich/privaten Zuschuss von maximal 4000 Euro pro Fahrzeug eingerechnet und einen professionellen Umgang mit Ladetechnik und den Einsatz digitaler Dienstleistungen vorausgesetzt, sind sie heute ebenso effizient wie Fahrzeuge mit klassischen Antrieben, sagt Mornhinweg, schiebt aber vorsichtshalber noch ein Bekenntnis zum modernen Dieselmotor nach.
Bei der Bewertung verschiedener Antriebsoptionen stellt das Van-Management den jeweiligen Einsatzzweck in den Vordergrund. Profis wählen zwischen elektrischem und klassischem Antrieb ausschließlich danach, ob sie für den Anwendungsfall die optimalen Voraussetzungen bieten. Für die Entscheidung gesellt sich zum bisher schon angebotenen „eVito“ bald der „eSprinter“ als zweites Modell hinzu, das im kommenden Jahr in den Markt kommt. Später folgt der eCitan.
Der Mercedes-Benz eVito ist vor allem im urbanen Lieferverkehr zuhause, erfüllt durch seine Reichweite und seine Laderaumkapazität aber auch Ansprüche von Handwerkern und Servicetechnikern. Eine installierte Batteriekapazität von 41 kWh sorgt für eine Reichweite von rund 150 Kilometern. Selbst bei ungünstigen Rahmenbedingungen steht den Kunden eine Reichweite von 100 Kilometern zur Verfügung. Nach sechs Stunden Ladezeit ist die volle Reichweite wieder in der Batterie. Der Antrieb leistet 114 PS (84 kW) und erreicht ein Drehmoment von 300 Nm. Die Höchstgeschwindigkeit lässt sich an den jeweiligen Einsatzzweck anpassen. Ist der eVito vorwiegend im innerstädtischen Bereich unterwegs, vergrößert eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h die Reichweite. Möglich sind aber auch 120 km/h.
Der Midsize-Van kann mit zwei unterschiedlichen Radständen bestellt werden. Die Basisversion mit einer Gesamtlänge von 5140 Millimetern bietet eine maximale Zuladung von 1073 Kilogramm und liegt damit auf dem Niveau des Vito mit klassischem Antrieb. Die extralange Version kommt auf 5370 Millimeter. In dem Laderaum lassen sich Güter bis zu einer Zuladung von 1048 Kilogramm unterbringen. Das maximal zulässige Gesamtgewicht beträgt 3200 Kilogramm; das Ladevolumen liegt zwischen 6,0 bzw. 6,6 Kubikmetern.
Der eSprinter folgt im kommenden Jahr. Er wird zunächst als Kastenwagen mit Hochdach und einem zulässigen Gesamtgewicht von 3500 Kilogramm angeboten. Das maximale Ladevolumen erreicht 10,5 Kubikmeter. Mit einer installierten Batteriekapazität von 55 kWh beträgt die voraussichtliche Reichweite rund 150 Kilometer bei einer Zuladung von 900 Kilogramm. Mit der zweiten Batterieoption können Kunden andere Prioritäten bei den Einsatzparametern setzen, zum Beispiel eine Kapazität von 41 kWh und eine Reichweite von rund 115 Kilometern oder eine maximale Zuladung von 1014 Kilogramm mit drei Batteriepaketen. Der Elektroantrieb im eSprinter leistet – wie das Diesel-Einstiegsaggregat – 140 PS (84 kW) mit einem Drehmoment von bis zu 300 Nm. Die Höchstgeschwindigkeit lässt sich ebenfalls passend zum Einsatzweck konfigurieren: auf 80 km/h oder 120 km/h.
Zur eVan-Strategie gehört neben der Elektrifizierung der Fahrzeugflotte auch das Angebot einer Gesamtlösung für den jeweiligen Fuhrpark. Dazu gehören beispielsweise die Beratung bei der Auswahl des Fahrzeugs mit der ganzheitlichen Betrachtung der Total Cost of Ownership und die Einrichtung der organisatorischen und technischen Gegebenheiten an den Standorten der Flotte. Das soll gemeinsam mit den Kunden erfolgen (Customer Co-Creation) mit Bestandsaufnahme und gemeinsamer Entwicklung von Problemlösungen.
Zwei Beispiele für die enge Einbindung der Kundenperspektive bei der Entwicklung ganzheitlicher Systemlösungen sind die Pilotprojekte mit den Logistikunternehmen Hermes und Amazon Logistics. Kooperationspartner Hermes Germany wird 1500 Mercedes-Benz Elektrotransporter in Dienst stellen. Auch die Integration einer effizienten Ladeinfrastruktur sowie ein intelligentes, softwaregesteuertes Lastmanagement sind Teil des Pilotprojekts. Amazon Logistics wird bis Jahresende 100 eVito in den Fuhrpark an den Standorten Bochum und Düsseldorf übernehmen. Darüber hinaus arbeiten Amazon und Mercedes-Benz Vans mit weiteren Partnern an einem umfassenden Betreiberkonzept für den Standort Bochum. Neben der Ladeinfrastruktur geht es dort auch um die Parkraumbewirtschaftung oder die automatisierte Erfassung des Fahrzeugstatus.
Es gibt für die Van-Sparte auch im Bereich der kommerziellen Fahrzeuge noch genug zu tun, bis sich die Aufmerksamkeit auf Wasserstoff und Freizeitfahrzeuge konzentrieren kann. Übrigens: Der erste Mercedes-Benz mit Brennstoffzellen war ein MB 207, dessen kompletter Laderaum mit Brennstoffzellen-Stacks gefüllt war. Volker Mornhinweg (58) wird in seiner aktiven Zeit beim Daimler noch erleben wollen, dass daraus ein Reisemobil mit Wasserstofftank geworden ist. ampnet
Fotos: Daimler